nachts in der tram
heute bin ich karl marx begegnet. er saß in der tram. als wir einstiegen, saß er auf einer sitzbank, zusammen mit einer frau, die aussah, wie eine 50-jährige, die aussehen will wie eine 28-jährige. ihre zwei freundinnen waren auch nicht besser. er nuschelte ihnen noch zu, mit schwerem holländischen akzent, dass sie am museumplein aussteigen müssten, und dann waren sie auch schon weg. er blieb alleine zurück. nun mit mehr bewegungsfreiheit ausgestattet, machte er es sich etwas bequemer. er schlug seine beine übereinander, und erst jetzt nahm ich seine brille wirklich war, die ihm, tief auf der nase sitzend, das aussehen eines skeptischen, messerscharf analysierenden akademikers verlieh, der an der uni vorlesungen über quantenphysik hält. oder er war einfach nur ein verlorener intellektueller, der in einem kleinen, unaufgeräumten apartment in einem alten haus lebt, umgeben von büchern, dem staub vergangener, besserer zeiten und der sich in seiner eigenen gedankenwelt gerade so über wasser hält.
kurze zeit später zieht karl marx (freilich hatte er eine brille und auch seine glatze war ausgeprägter, aber trotzdem...) ein blaues DIN-A6-notizbuch aus der tasche. er schlägt es auf und beginnt eifrig und konzentriert darin zu blättern. manchmal macht er mit einem kugelschreiber eine notiz auf einer seite, um direkt darauf weiterzublättern. so geht er das ganze buch durch. am anfang kann ich nicht erkennen, was er in sein buch schreibt. ich sitze links neben ihm, auf der anderen seite der tram, und er hält den buchrücken so, dass ich die seiten nicht sehen kann. dann aber öffnet er das buch weiter und legt den blick frei auf lange zahlenreihen. von oben nach unten sind die seiten gefüllt mit ziffern. manche von ihnen sind umkreist, trennungslinien erleichtern die orientierung. was er so eifrig in dieses buch hineinschreibt, kriege ich leider nicht heraus. dafür habe ich zeit ihn zu beobachten. sein kopf erscheint im profil beihnahe eckig, die glatze und der graue kranz leicht gelockter haare über den ohren und am hinterkopf verstärken den eindruck. auf seiner glatze wachsen ein paar dünne, graue haare, die ungeordnet vom kopf abstehen. sein dichter vollbart verleiht ihm einen beinahe philospohischen, ehrwürdigen eindruck. sein nach vorne gestrecktes kinn lässt ihn etwas grimmig oder verbissen erscheinen und betont seinen bart. irgendwann klappt er das notizbuch zu, steckt es in seine jackentasche und schaut sich mit zusammengezogenen augenbrauen einige male in beide richtungen um, wie als wolle er sich vergewissern, nicht beobachtet worden zu sein. er dreht sich wieder nach vorne, verschränkt die arme vor der brust und kaut ein wenig auf seiner unterlippe. zwei stationen später steigt er aus und dreht sich noch ein letztes mal mit einem skeptischen blick um. dann schließen sich die türen, und karl marx ist weg.
1 Comments:
hehehe weirder typ....erinnert an A Beautiful Mind....
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